Science-Fiction Geschichten

SciFi | Professor Ohngs Zeitabenteuer: Die Haidron-Chroniken und die Wissenschaft von der Zeit | B.0016

K | Kapitel 3 # Pauschalreisende aus der Zeit

"Soso, ein Erstsemester!" schmunzelte Ohng, als ich mich ihm vorstellte. Der Professor hatte gerade seine Utensilien vom Lehrpult in eine große Tasche gepackt und hatte mit dem Einräumen inne gehalten, als ich ihn angesprochen hatte.

"Ich - dachte, ich - wollte nicht - -" stotterte ich herum und überlegte, wie ich mich für mein Wagnis entschuldigen konnte.

"Kein Problem!" lachte Ohng. "Genieren Sie sich nur nicht! Die Erstsemester sind mir die Liebsten - noch ganz unbefangen von der Höheren Wissenschaft von der Zeit!"

Wumms. Das saß! Er musste ja schließlich wisssen, dass alle Studenten, die es schaffen, hierher zu kommen, zu den weltweit Besten gehörten, die auf ihren Universitäten aus dem Studium der Zeitphysik, der Zeitparadoxon-Forschung und den ganzen anderen Studiengängen aus diesem Themengebiet hervorgegangen waren. Das Blut schoss mir in den Kopf, und ich  WUSSTE, dass ich in diesem Moment rot angelaufen war. - Aber dann wurde mir klar: Professor Haidron Ohng MEINTE es ganz genau so, wie er es sagte: Nicht, um uns Studenten herabzuwürdigen. Sondern, weil es seine ureigene, tiefe Erkenntnis war: Wir waren alle Anfänger. Blutige Anfänger, von einäuigigen und halbblinden Professoren ausgebildet, die zu ihm gekommen waren, um endlich eine mentale Öffung, einen wissenschaftlichen Höhenflug zu erleben, um in die höchsten Sphären der Wissenschaft von der Zeit vorzustoßen! SEINER Wissenschaft. Denn außer ihm gab es keinen. Keinen; wirklich keinen, der ihm das Wasser reichen konnte.

"Also, mein junger Freund!" riß mich der Professor aus meinen Gedanken: "Wo steckt das Problem? Reden Sie! Frei von der Leber weg!" Ich sah mich verstohlen um, aber es war niemand anderes mehr da. Der große Hörsaal war vollkommen leer. Selbst Haidron Ohngs Assistenten waren mit einem Stoßseufzer aus der ersten Stuhlreihe aufgestanden und gegangen. Sie wussten: Wenn Ohng auf diese Weise ein Gespräch mit einem Studenten anfing, konnte es lange dauern!

"Es ist keiner mehr da!" sagte Ohng, weil er meine Gedanken erraten hatte: "Zumindest keiner aus unserer Zeitebene mehr!" Ich riss die Augen auf. Ohng nickte belustigt: "Keine Panik! Es könnte ja sein, dass sich hier unsichtbarerweise dutzende, vielleicht auch hunderte Kollegen und Studenten aus der Zukunft herumtummeln - für uns unsichtbar, und über so einen alten Wissenschaftsidioten wie mich lachen und lästern, wenn ihr Zeitausflug vorbei ist!"

"Ein Scherz!" sagte ich. "Ein Scherz!" nickt Ohng: "Und gleichzeitig eine mögliche Wahrheit!"

"Sie denken, dass wir rund um die Uhr von Zeitreisenden beobachtet werden könnten?" fragte ich Ohng. "Warum nicht!", antwortete Ohng:  "Wenn wir davon ausgehen, dass die Menschheit in einigen Jahrhunderten oder Jahrtausenden in der Lage sein wird, Zeitreisen durchzuführen, könnten die Reisebüros diese Zeitreisen anbieten wie man das heutzutage mit Pauschalreisen macht: Nach Afrika, nach Europa, nach Amerika, nach Asien!" Ich stieß die Luft aus: "Wieviele könnten das dann sein?"

"Nun", sagte Ohng und zog an seiner Pfeife, die er mittlerweile aus seiner Jackentasche gezogen - aber nicht angezündet hatte: "Die Zahlen könnten erschreckend hoch sein! Wenn wir davon ausgehen, daass die Menschheit Jahrzehntausende ode auch Jahrhunderttausende überlebt, wird der Bedarf nach Abwechslung groß sein: Es könnten Einzelne, Tausende - oder auch Abermillionen Zeitreisende sein, die hier um uns herumschwirrnen!"

"Dann gäbe es ein Platzproblem!" sagte ich

"Nicht unbedingt!", sagte Professor Ohng: "Stellen Sie sich die Präsenz der Zeitreisenden etwa so vor, wie die die Frequenzen auf einem Wellenband. Oder wie die Arbeitsebenen auf einer Bearbeitungssoftware. Oder wie die Flugslots von Flugzeugen oder Personenbeförderungsraumschiffen im dreidimensionalen Flugraum: Jeder darf mal: Heute darf Gruppe 117 bei uns vorbeischauen. Morgen darf Gruppe 3217 zu unserem heute Reisen. Meiner Theorie zufolge könnte ene nahezu unbegrenzte Anzahl von Zeitreisenden in gewissem Sinne gleichzeitig einen ganz bestimmten Zeitpunkt auf einem Zeitstrahl der Vergangenheit aufsuchen. Aber-" Professor Haidron schüttelte den Kopf: "Das ist ein Thema für die Teilnehmer meiner Hauptseminare. Nicht für die Studenten der Anfangsvorlesung, wie dieser hier!"

Ich schüttelte ebenfalls den Kopf: "Eine schaurige Vorstellung!" sagte ich. "Welche Vorstellung  jagt Ihnen denn Schauer über den Rücken?" "Die Vorstellung, dass ich selbst bei intimsten Verrichtungen, beim Duschen, beim Sex, beim Nasepopeln, auf dem Klo, von einer Unzahl von zeitreisenden Beobachtern umgeben bin!"

Professor Haidron musste lachen: "Das könnte eine der bitteren Tatsachen des menschlichen Zeitreise-Tourismus sein!" Dann fügte er hinzu: "Aber keine Angst! Wie immer, wenn sich Menschen in die Quere kommen, weil viele dasselbe machen, bilden sich Regeln und Richtlinien heraus. Gebote und Verbote! Weshalb sollte es hier anders sein?"

Ja, weshalb sollte es hier anders sein, dachte ich. Der Professor fuhr fort: Wenn wir von zwei Fakten ausgehen, sieht es in dieser Hinsicht doch schon mal ganz gut aus: Zum einen eine menschliche Ethik, die sich über die Jahrtausende immer höher entwickelt. Zum anderen die Notwendigkeit, solche Massenströme an Zeitreisenden zu regulieren. Etwa durch Zeitreiseverordungen, eine Zeitbehörde, Zeitlotsen, Zeitguides oder eine Zeitpolizei!"

"Zeitverordnung ... Zeitlotsen .. Zeitpolizei!" wiederholte ich spachlos. Mir schwirrte der Kopf. "Exakt!" sagte Haidron und sog wieder an seiner immer noch nicht angezündeten Pfeife. "Ich bin mir sicher, junger Freund" - und dabei klopfte er mir auf meine Schulter, "ich bin mir sicher, dass es strikte Regeln gibt, an die sich Zeitreisende halten müssen. Und dazu gehört - meiner bescheidenen Meinung nach - unbedingt eines: Die Intimsphäre eines Menschen darf durch Zeitreisende nicht gestört werden."

Ich schluckte: "Und wenn nicht..?" "Und wenn nicht.."  wiederholte der Professor bedächtig: "Ja wenn nicht. Dann herrscht in der fernen Zukunft ein schreckliches Chaos - und wir wären Zeitmanipulationen und Eingriffen jeder Art auf eine unerträgliche Weise schutzlos ausgesetzt.. Aber davon", sagte Haidron, "wollen wir mal nicht ausgehen!"

Haidron blickte auf seine Uhr. Wieder so ein altmodisches Ding - dachte ich: Am Handgelenk, wie vor zweihundert Jahren: "Mir macht sie Freunde!" sagte Haidron. Wieder kam es mir vor, als könne der Professor meine Gedanken lesen. "Nein, nein" sagte Haidron: Denken Sie so etwas nicht: Ich kann lediglich gut kombinieren, Blicke und Bewegungen deuten."

Haidron klopfte mit seiner Hand auf die halb geöffnete Aktentasche und schloss sie: "Kommen Sie, wir gehen in die Büchner-Kneipe neben der Unibiliothek und bestellen uns ein veritables Steak mit Pommes und Knoblauchbutter. Dann sprechen wir weiter!" Ich machte den Mund auf und wollte Haidron sagen, dass mir mein knappes Studentenbudget kein veritables Steak mit Pommes und Knoblauchbutter erlauben würde.

Aber Haidron schnitt mir das Wort mit einer kurzen Handbewegung ab: "Sie sind eingeladen!"

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