Science-Fiction Geschichten

SciFi | Professor Ohngs Zeitabenteuer: Die Haidron-Chroniken und die Wissenschaft von der Zeit | B.0016

K | Kapitel 2 # Wenn Zeitreisende unsere Gegenwart orkanartig hin- und herschütteln

Es war in einer dieser Vorlesungen; ich war damals ganz neu an der Uni. Nicht, dass ich mir nichts hätte auf mich einbilden können! Im Examen meiner Uni war ich bei den besten 2% gewesen. Aber hier - hier bei Professor Ohng waren hunderte, die die besten ihrer Fakultät gewesen waren: Und hier waren man auch als Bester nur einer von vielen, sehr vielen. Und man war Durchschnitt. Und - wenn man die "Superhirne" unter den Studenten in den Übungen, Seminaren und Kolloquien reden hörte, wusste man: Man war selbst nichts als ein Häufchen wissenschaftlichen Fliegen-Dreck auf dem Schmierzettel der Wissenschaft von der Zeit.

Professor Ohng machte das aber nichts aus. Er hatte keine Berührungsängste, keine professoralen Allüren. Er sprach und diskutierte mit jedem, mit seinen Professoren-Kollegen, mit seinen Habilitanden, Doktoranden ebenso wie mit einem studentischen Neuling wie mir; dozierte, erläuterte, belehrte und ließ sich belehren - wobei letzteres nur sehr selten vorkam. Im Proseminar begrüßte er seine Neustudenten Semster für Semester mit dem Satz: "Sie sind also so verrückt, Zeitphysik zu studieren!"

Interessante Gedanken seiner Schüler griff er mit einer Freude auf, als habe ein Grundschüler im Hochsommer eine Kugel Schokoladeneis geschenkt bekommen: Mit entzückter Hast verspeiste er die wissenschaftliche Anregung, kostete sie von allen Seiten, entwarf und entwickelte im Nu großartige und weitausholende Theorien, um dann plötzlich seine Mappe zu greifen, davon zu stürmen und seinen verdutzten Zuhörern zuzurufen: "Eine atemberaubende Theorie, die ich unverzüglich zu Papier bringen muss."

An solchen Abenden ging die Nacht hindurch das Licht in Professor Ohngs Institutsbüro nicht aus. Am nächsten Morgen aber betrat Haidron Ohng frisch, ausgeruht und bester Laune den Hörsaal, und setzte seine Vorlesung oder sein Seminar dort fort, wo er am Vortag aufgehört hatte.

"Es ist", fuhr Professor Ohng an diesem besagten Tag in seiner Vorlesung fort, "völlig klar, dass es genau drei Möglichkeiten gibt, falls Zeitreisende aus der ferneren Zukunft heute schon unter uns weilen!" Ohng hob seinen Zeigefinger: "Erstens: Unsere Zeitbesucher haben Mittel und Wege gefunden, die Beeinflussung der Zeit durch Zeitreisen zu eleminieren." Ohng hob seinen Kopf und ließ seine Blicke bis hoch hinauf auf die hintersten Bänke des Hörsaals wandern: "Zweitens: Unsere lieben Besucher verhalten sich dermaßen vorsichtig, dass alle zeitlichen Beeinflussungen, die sich aus ihren Besuchen ergeben könnten, vermieden werden. Oder drittens -" Professor Ohng hielt kurz inne und machte eine Kunstpause: "Ja, drittens: Es könnte sein, dass wir fortwährend einem grässlichen Bombardement von Zeitparadoxa ausgesetzt sind; dass also - von außen betrachtet - unsere Zeit durch jede Menge Besucher aus der Zukunft orkanartig hin- und hergeschüttelt wird; dass sie sozusagen unter üblem Getöse von einem Parallelzeitverlauf zum nächsten Parallelzeitverlauf springt. Mithin wir alle in einem vollständig chaotischen Zeitsystem leben. - Nur merken wir es nicht, denn für uns Menschen in der Jetztzeit sieht unsere Vergangenheit im Rückblick jederzeit nach einem vollständig stabilen, linearen Verlauf aus!"

Am Ende dieser Veranstaltung fasste ich den Mut, Professor Haidron Ohng auf mein Problem anzusprechen.

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